Autor Thema: Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet  (Gelesen 11006 mal)

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Aisha

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Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« am: Di., 01. Juni 2010, 10:48 »
Hallo,

dazu mehrere Fragen zu einer Aussage des Rabbis Jesus:


Zitat
Tricky: „Wer bin ich, dass ich das bewerten könnte? Verstehst du, was ich sagen will? Wie käme ich (Mensch) dazu das bewerten oder beurteilen zu können, was nur Gott zusteht? Das geht ja gar nicht.“


Jesus sagte: Urteilt nicht, damit ihr nicht beurteilt werdet, denn mit dem Maß mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden.

Frage an alle Christen: Wie versteht ihr diese Aussage und ganz wichtig: Wie lebt ihr das im Leben? Denn die Theorie bringt bekanntlich nix.

Versteht ihr das Gebot generell, oder kann man es umgehen, indem man Dritte zu einem Urteil über nicht Anwesende verleitet?

Ist es im Christentum erlaubt, vertrauliche Gespräche mit anderen zu besprechen und Nichtanwesende zu verurteilen.


Dazu ein Beispiel: Man führt mit einem Pastor ein vertrauliches Gespräch, denn dieser versteht sich als „Seelsorger“. 
Bei den Katholiken gilt immerhin eine Schweigepflicht (Beichtgeheimnis) , der Pfarrer darf über das ihm anvertraute nicht mit anderen sprechen
Dieser Grundsatz wurde sogar in das weltliche Rechtssystem übernommen (Ärzteschweigepflicht, Anwälteschweigepflicht usw.).

Evangelische , evangelikale Pastoren kennen dieses Gebot nicht?

Wenn doch, eine zusätzliche Frage: Wird ein Unterschied gemacht zwischen „Glaubensgeschwistern“ und „Andersgläubigen“?
Sind Andersgläubige Freiwild, über die man lästern und urteilen darf, wie man möchte?

Die Ursache meiner Fragen stammt aus der Erfahrung.

Aisha

tricky

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #1 am: Di., 01. Juni 2010, 11:08 »
Schalom Aisha!

Das sind zwei verschiedene Themenbereiche, denke ich. In der Frage von ABA ging es klar um:

Zitat
für immer verloren ? ? ?

Hier geht es um ein finales Urteil über Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit, das ihre Annahme vor Gott bewertet.


Hier geht es nicht um zwischenmenschliche Bewertungen von Situationen. Das ist ein anderes Thema, das man natürlich besprechen muss.

viele Grüße

Tricky


(Überschrift angepasst -freily-)

Aisha

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #2 am: Mi., 02. Juni 2010, 10:14 »
hallo Tricky,

Zitat von: Tricky
Das sind zwei verschiedene Themenbereiche, denke ich. In der Frage von ABA ging es klar um:

Zitat

    für immer verloren ? ? ?


Hier geht es um ein finales Urteil über Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit, das ihre Annahme vor Gott bewertet.


Hier geht es nicht um zwischenmenschliche Bewertungen von Situationen. Das ist ein anderes Thema, das man natürlich besprechen muss.

Nicht alles im Leben lässt sich trennen. Alles zwischen uns ist "zwischenmenschlich".

Was ist nun aus deiner Sicht zu trennen oder relativieren?

Diese Aussage?

Zitat
Zitat

    Tricky: „Wer bin ich, dass ich das bewerten könnte? Verstehst du, was ich sagen will? Wie käme ich (Mensch) dazu das bewerten oder beurteilen zu können, was nur Gott zusteht? Das geht ja gar nicht.“

Das passt nun nur auf die Ewigverloren-Frage und nicht auf andere Situationen?

oder ist diese Aussage zu relativieren?


Zitat
Jesus sagte: Urteilt nicht, damit ihr nicht beurteilt werdet, denn mit dem Maß mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden.

Auf was hat nun Jesus diese Aussage deiner Meinung nach angewandt? Generell oder nur realtiv?

Aisha

PS. Neues Thema - Urteilt nicht ....wäre vielleicht angebracht



(Überschrift angepasst ans Thema) -freily-

tricky

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #3 am: Mi., 02. Juni 2010, 12:18 »
Schalom Aisha!

Ich habe die Themen abgetrennt. Hier können wir jetzt übers Urteilen und über diese Aussage Jesu und das Verständnis der "Christen" davon sprechen. Vorneweg schlage ich vor den Text in 2 Übersetzungen mal hier einzustellen:

ELB
Mt. 7/1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 7/2 Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. 7/3 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr? 7/4 Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge? 7/5 Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.

parallel dazu:
Lk. 6/36 Seid nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 6/37 Und richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden; verurteilt nicht, und ihr werdet nicht verurteilt werden. Laßt los, und ihr werdet losgelassen werden. 6/38 Gebt, und es wird euch gegeben werden: ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.

6/39 Er sagte aber auch ein Gleichnis zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden leiten? Werden nicht beide in eine Grube fallen? 6/40 Ein Jünger ist nicht über dem Lehrer; jeder aber, der vollendet ist, wird sein wie sein Lehrer. 6/41 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber, der in deinem eigenen Auge ist, nimmst du nicht wahr? 6/42 Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, erlaube, ich will den Splitter herausziehen, der in deinem Auge ist, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter herauszuziehen, der in deines Bruders Auge ist. 6/43 Denn es gibt keinen guten Baum, der faule Frucht bringt, noch einen faulen Baum, der gute Frucht bringt; 6/44 denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt; denn von Dornen sammelt man nicht Feigen, noch liest man von einem Dornbusch Trauben. 6/45 Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor, und der böse bringt aus dem bösen das Böse hervor; denn aus der Fülle des Herzens redet sein Mund.

SCHLACHTER 2000

Mt. 1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!
2 Denn mit demselben Gericht, mit dem ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit demselben Maß, mit dem ihr [anderen] zumeßt, wird auch euch zugemessen werden.
3 Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?
4 Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen! — und siehe, der Balken ist in deinem Auge?
5 Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen!



Beide Texte sprechen vom Richten, was ja auch mit Urteilen gemeint ist.

Zuerst spricht Jesus noch allgemein vom Richten, das man unterlassen soll. Danach bringt er ein Beispiel, das einen "Bruder" betrifft. Die christlichen griechischen Schriften unterscheiden schon zwischen Bruder, Nächstem, Fremdem oder beispielsweise Heiden. Einfach um die Situation besser zu treffen werden verschiedene Begriffe verwendet. Das finden wir auch schon im Dekalog so. In diesem Fall aber meine ich, dass es egal ist, ob hier das Beispiel von einem Bruder gebracht wird oder nicht. Das Problem des Richtens finden wir leider überall.

Meine persönliche und wohl auch christliche Sicht zu dem Thema ist folgende:

1. Jeder Mensch bewertet ständig was um ihn herum geschieht. Situationen müssen eingeschätzt und abgewägt werden um zu handeln. Wir bewerten ob uns etwas gefällt oder nicht, ob wir etwas kaufen oder nicht, ob uns jemand sympathisch ist oder nicht, ... . Das ist aus meiner Sicht also (manchmal sogar über-) lebensnotwendig und normal. Das geht von der Kleinsten bis zur Größten Sache.

2. Richten oder Urteilen ist eine vollkommen andere Sache. Beim Richten setzt sich der Mensch eigenmächtig auf den Thron Gottes und verstößt ihn von dort. Das bedeutet, dass er ein Urteil oder einen Richterspruch an seiner statt fällt. Beim Richten übernimmt sich der Mensch, weil er weder alles versteht noch die Hintergründe begreift. Richten beinhaltet auch die Zuweisung von Schuld, was ebenso eine Sache ist, die eigentlich nur der Mensch selbst an sich oder eben Gott am Menschen klar und eindeutig festmachen kann.
Die schlimmste Form des Richtens ist die, wenn man jemanden, wie ABA es formuliert hat als "für immer verloren" bezeichnet.

Zitat von: Aisha
Das passt nun nur auf die Ewigverloren-Frage und nicht auf andere Situationen?
kommt auf das Thema an, siehe Unterscheidung oben ^

Zitat von: Aisha
Auf was hat nun Jesus diese Aussage deiner Meinung nach angewandt? Generell oder nur realtiv?

Meiner Meinung nach Jesus meinte das absolute Richten und absolute Verurteilen. Ein endgültiges Beurteilen von Personen! - nicht von Handlungen!

Was meinte Jesus deiner Meinung nach?


das mal meine Gedanken zu dem Thema.

viele Grüße

Tricky

Offline freily

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Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #4 am: Do., 03. Juni 2010, 10:53 »
Schalom tricky,
Das finden wir auch schon im Dekalog so.
Eben das finde ich nicht, daß das vom Verurteilen im Dekalog (10 Gebote) so steht.

Denn Heiden sind definitiv die Nichtjuden gemeint und nicht, wie die Christenheit es später ausdehnte - auch Ungläubige.

Im Prinzip sagt die Bibel in der Wurzel aller Verse, daß man zuerst seine eigenen Fehler abstellen soll, bevor man andere bekritelt oder be/verurteilt.

Und was nicht geschrieben steht im Wort GOTTes, daß wird hier auch nicht gelehrt, denn das WORT unseres JHWH ist heilig".

Und wenn ER sagt: 5.Mo 32,39 Sehet nun, dass ich's allein bin und ist kein Gott neben mir!

Deshalb ist der Sohn Gottes auch kein GOTT! und der Heilige Geist ist GOTT selbst, denn ER ist Heilig und GEIST in EINER Person.

Liebe Grüße
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tricky

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Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #5 am: Do., 03. Juni 2010, 11:36 »
Schalom freily!

Um meine Aussage:

Zitat
Die christlichen griechischen Schriften unterscheiden schon zwischen Bruder, Nächstem, Fremdem oder beispielsweise Heiden. Einfach um die Situation besser zu treffen werden verschiedene Begriffe verwendet. Das finden wir auch schon im Dekalog so.


etwas besser zu erklären, was ich damit meinte. Ich meinte die Unterscheidung von Personengruppen. Diese gibt es als Prinzip auch schon im Dekalog. Es ist von verschiedenen Personengruppen die Rede. Hier:

2 Mo 20/8 Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. 20/9 Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, 20/10 aber der siebte Tag ist Sabbat für den HERRN, deinen Gott. Du sollst [an ihm] keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore [wohnt]. 20/11 Denn in sechs Tagen hat der HERR den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.


Gott teilt die Menschen bereits nach ihren Beziehungen ein, weil er weiß, dass es immer "Fremde" geben wird, die halt vielleicht nur auf Besuch sind.

NUR das meinte ich als ich davon sprach, dass bereits im Dekalog Personengruppen unterschieden werden. Aus meiner Sicht ist keine Wertigkeit oder Wertung mit dieser Unterscheidung verbunden, genauso wie im NT (ich nenne die christlich-griechischen Schriften der Einfachheit halber NT, weil man das einfach so schön abkürzen kann, neu heißt hier nicht automatisch besser oder vorrangiger, sondern lediglich zeitlich jünger).

das nur kurz zur Erklärung.

viele Grüße

Tricky

Offline זאב ברנובסקי ABA

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Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #6 am: Do., 03. Juni 2010, 22:15 »
שלום חמודים
Schalom ihr Lieben,

Es geht im christlichen Urtext um κρινω [krino]
und dies übersetzt man im:
ACTIVUM mit:
1) scheiden, sondern, sichten, unterscheiden, durch Auswahl etwas bestimmen;
2) absondern, aussondern, auswählen, teilen, trennen;
3) entscheiden, beschließen, richten, (ver)urteilen, eine Entscheidung treffen;

MEDIUM
mit:
für sich auswählen, auslegen, deuten;

PASSIVUM mit:
1) ausgewählt, beurteilt, entschieden werden;
2) vor Gericht gestellt, zur Verantwortung gezogen, gerichtet werden;
3) sich sondern; sich messen im Kampf oder vor Gericht:

das sog. "NT" gebraucht κρινω [krino] im Bezug auf:
a) richten, nach feierlicher juristischer Weise behandeln, von Menschen(Joh18,31), von GOtt (Apg17,31;Rö3,6).
b) richten, urteilen oder seine Meinung abgeben in persönlicher Weise (Mt7,1ff;Lk6,37;Joh8,15).
c) beurteilen, entscheiden, sich eine Meinung oder ein Urteil bilden (Lk12,57;Joh7,24;Apg4,19;1Korr10,15;11,13)
d) urteilen, denken, meinen, achten oder halten für ... (Apg15,19;16,15;26,8;1Kor4,5)
e) richtig urteilen, beschließen, entscheiden (Apg15,19;16,4;20,16;21,25;25;25;1Kor5,3)
f) der Bestrafung ausliefern, verurteilen (Joh3,17ff;7,51;Apg13,27)
g) Beweise oder eine Gelegenheit zur Verurteil liefern, in diesem Sinn verurteilen (Rö2.27)
[im Passivum spare ich jetzt aus]


Mt. 7,1 
steht > κρινω [krino] / κρινετε [krinete] < im Imperativ (als Negativum)

also einer zwingenden und bindenden Befehlsform, also ein Pflichtgebot in Ablehnung!
> nicht urteilen und nicht richten, nicht jemanden für etwas erklären/verurteilen <
und das in der Tätigkeit eines Richters, die einem nicht zusteht !

   שלום אבא

 Schalom ABA
_

Offline freily

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Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #7 am: Fr., 04. Juni 2010, 00:16 »
Schalom ABA und tricky,

@ ABA, wie immer eine perfekte Arbeit die Du hier geschrieben hast.
Deine altgriechisch Erklärungen empfinde ich als sehr hilfreich für Suchende, weil man da die Zusammenhänge besser einordnen kann.
Vielen Danke für deine Mühe!

@ tricky,
gut das Du das nochmals erklärt hast. Ich habe tatsächlich dein voriges Posting anders interpretiert.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns hier friedlich austauschen, damit wir gegenseitig das Verstehen besser lernen.


Liebe Grüße an Euch beiden
Wer den richtigen Weg nicht sucht, ihn auch nicht findet.
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freily©

Aisha

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Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #8 am: Fr., 04. Juni 2010, 10:46 »
Schalom,

danke Aba für deine gute Erklärung, die das hebräische verständnis bestätigt. Auch im Griechischen gibt es keine Unterschiede zwischen bewerten, beurteilen, verurteilen, richten....

Somit kann ich Jeschua ganz jüdisch verstehen, dass es sich hier um ein generelles Gebot handelt.
Dies ist auch wenig überraschend, da die Torah die zwischenmenschlichen Gebote auf alle Menschen anwendet und keinen Unterschied zwischen Israelit und Fremden macht.
(diese Bibelstellen wären an dieser Stelle sehr interessant, aber leider fehlt mir die Zeit dafür :()

Meine Fragen an die Christen wurde jedoch noch nicht beantwortet. Gibt es ein Gebot im Christentum , das diesem gleichkommt?

http://www.religioncity.de/index.php?topic=42.0

Wir hatten vor ein paar Wochen das Thema "böse Zunge" mit unserem Rabbi am Schabbat besprochen. Er lehrte uns, dass man über "keinen Menschen schlecht reden darf". Er machte keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden.

Auf die Aussage "oh das ist schwierig", meinte er "ja , aber es ist möglich" :)



schabbat schalom

Aisha

tricky

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #9 am: Fr., 04. Juni 2010, 16:30 »
Schalom ABA!

Vielen Dank auch von mir für deine sprachliche Erklärung zu dem Text aus Mt. 7,1. Ich bin froh, dass ich dadurch erkenne, dass zwischen einfachem Bewerten und einem Beurteilen, Verurteilen oder Richten ein haushoher Unterschied ist. Man kann das eine einfach mit dem anderen nicht vermischen.

Zitat von: ABA
Mt. 7,1
steht > κρινω [krino] / κρινετε [krinete] < im Imperativ (als Negativum)

also einer zwingenden und bindenden Befehlsform, also ein Pflichtgebot in Ablehnung!
> nicht urteilen und nicht richten, nicht jemanden für etwas erklären/verurteilen <
und das in der Tätigkeit eines Richters, die einem nicht zusteht !

Genau das hat Jesus verboten. Das wie du es beschrieben hast als "für immer verloren" ansehen. Diese Ausübung des Richteramtes steht uns Menschen nicht zu.


Im Gegensatz dazu ist das schlechte (oder böse) Reden über einen anderen Menschen ein neues Thema. Dieses gilt nicht erst seit der Gesetzgebung am Sinai, sondern wird als mahnendes Beispiel schon im Bericht über die erste Sünde erwähnt. Schuld verschieben und den anderen verurteilen. Der Mann zeigt auf die Frau, die Frau zeigt auf die Schlange, nur die Schlange hat auf niemanden mehr gezeigt.

Man sollte dieses Prinzip des schlecht Redens über einen anderen Menschen jedoch weiter fassen und nicht auf die akustische Sprache beschränken. Man sollte ebenso nicht schlecht DENKEN über einen anderen Menschen oder ihm etwas UNTERSTELLEN, bevor man nachgefragt hat, ob das wirklich so gemeint ist. Das wäre nämlich aus meiner Sicht der gleiche Tatbestand wie das schlechte Reden. Wenn man also mit einer vorgefassten Meinung an eine Sache herangeht und sich etwas in seinem Kopf zusammenspinnt, mit dieser gefassten Meinung dann auch noch hausieren geht, dann erfüllt man den gleichen Tatbestand des Richtens und Verurteilens, den Jesus in Mt. 7,1 als falsch darstellt. Sünde beginnt im Kopf!

In diesem Sinne, lieber freily:
Zitat
@ tricky,
gut das Du das nochmals erklärt hast. Ich habe tatsächlich dein voriges Posting anders interpretiert.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns hier friedlich austauschen, damit wir gegenseitig das Verstehen besser lernen.

wenn die Beziehung passt und friedlich ist, dann wird man sich auch immer verstehen ... oder eben im Gespräch (durchs Reden kommen die Leut z'sam) Missverständnisse leicht klären können.


shabbat shalom

Tricky

Aisha

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #10 am: So., 06. Juni 2010, 12:10 »
Schalom Tricky,

du fragst mich, was meint Jesus meiner Meinung nach?

Zitat von: Tricky
Meiner Meinung nach Jesus meinte das absolute Richten und absolute Verurteilen. Ein endgültiges Beurteilen von Personen! - nicht von Handlungen!

Was meinte Jesus deiner Meinung nach?

Aus meiner Sicht meint er auf keinen Fall nur ein absolutes Richten oder Verurteilen!
wenn ich dich richtig verstanden habe, konzentrierst du dich besonders auf Abas Beispiel: "für immer verloren sein".

Das ist zwar ein zeitgemäßes aktuelles Beispiel des Urteilens/Richtens und fällt unbestritten unter den Begriff.

Warum schreibe ich aber "zeitgerecht"?

Der Aba hat sich in der Frage an dich (es ging noch nicht um unser allgemeines Thema des Verurteilens) ganz im Sinne eines im interreligiös Dialog erfahrenen Juden :), einer freikirchlichen Terminologie bedient. Worte wie "für immer verloren", "die nicht an den Maschiach glauben", "sein Opfer annehmen" usw.

Das Beispiel ist auf Jesu Aussagen nicht sehr gut anwendbar, weil seine Zuhörer keine evangelikalen Christen waren, sondern Juden und dort ist oben zitierte Terminologie UNBEKANNT . Weder gibt es "ewig Verlorene" im christlichen Sinne, noch muss man an eine "Messias glauben" im christlichen Sinne, noch kennt man eine "Rettung" im christlichen Sinne.
(zur Klärung der Begriffe im hebräischen Verständnis kommt mit der Hilfe HaSchems vielleilcht die Zeit).

Jesus spricht aus meiner Sicht von ganz allgemeinen zwischenmenschlichen Beziehungen des alltäglichen Lebens und nicht von einem Endgericht. Dazu muss man vielleicht erklären, dass  nach jüdischen Verständnis das "Richten G'ttes" , das eher ein "Zurechtrichten als ein Strafen ist" von G'ttes Seite aus ständig hier und jetzt geschieht. Das Endgericht gibt es zwar , hat aber mit dem christlichen Verständnis nach meinem bisherigen Verständnis nicht viel zu tun.

Aber sehen wir uns die Aussagen Jesu näher an:


Mt. 7/1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 7/2 Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. 7/3 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr? 7/4 Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge? 7/5 Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.

Da geht es um das alltägliche menschliche Verhalten, sich als besser zu sehen als der Mitmensch. In Wirklichkeit sind wir alle auf dem Weg , unvollkommen und ein Urteil besonders über den Bruder steht uns nicht zu. Wie könnte in Mensch beurteilen wie die Beziehung zu G'tt eines andern aussieht? Überhaupt nicht.

Die parallele Stelle bringt das noch deutlicher auf den Punkt

parallel dazu:
Lk. 6/36 Seid nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 6/37 Und richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden; verurteilt nicht, und ihr werdet nicht verurteilt werden. Laßt los, und ihr werdet losgelassen werden.


Barmherzigkeit bedeutet für mich, dass ich nicht die Fehler des andern sehe , sondern zuerst seine guten Seiten und selbst bei den vermeintlichen Fehlern keinen böse Absicht unterstelle.

6/38 Gebt, und es wird euch gegeben werden: ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.

Wir sollten von uns aus immer geben , egal ob uns der Mitmensch würdig vorkommt oder nicht.
Wenn wir überkritisch mit unseren Mitmenschen sind, ihnen laufend Böses unterstellen, wird G'tt mit uns genauso verfahren.

6/39 Er sagte aber auch ein Gleichnis zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden leiten? Werden nicht beide in eine Grube fallen? 6/40 Ein Jünger ist nicht über dem Lehrer; jeder aber, der vollendet ist, wird sein wie sein Lehrer. 6/41 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber, der in deinem eigenen Auge ist, nimmst du nicht wahr? 6/42 Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, erlaube, ich will den Splitter herausziehen, der in deinem Auge ist, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter herauszuziehen, der in deines Bruders Auge ist.

Jeder der nicht vollkommen ist, kann nicht klar sehen! Wie könnte man also seinen Mitmenschen beurteilen, ohne klare Sicht?

6/43 Denn es gibt keinen guten Baum, der faule Frucht bringt, noch einen faulen Baum, der gute Frucht bringt; 6/44 denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt; denn von Dornen sammelt man nicht Feigen, noch liest man von einem Dornbusch Trauben. 6/45 Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor, und der böse bringt aus dem bösen das Böse hervor; denn aus der Fülle des Herzens redet sein Mund.

Das könnte eindeutiger nicht sein , klare Worte.
Er bringt hier ganz schön, den Zusammenhang zwischen Herz und Mund zum Ausdruck. Wie im hebräischen biblischen Verständnis die Gedanken aus dem Herzen kommen, kann der Mund nur reden, was im Herzen ist. Womit wir wieder bei unserem Beispiel " der bösen Zunge " wären.
Aus meiner Sicht lässt sich somit das Thema nicht trennen, die "böse Zunge" oder "üble Nachrede" und "Verleumdung" ist für mich ein sehr gutes Beispiel für die Lehre Jesu über das "Nicht-Urteilen-Sollen" :)

schalom

Aisha 

tricky

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #11 am: So., 06. Juni 2010, 12:51 »
Schalom zusammen!

Eigentlich sollte ich (und alle, die außer mir auch in Österreich wohnen) heute den ganzen Tag draußen verbringen und die Sonne genießen. Werde ich auch machen, gleich nach diesem Posting.

Ich möchte meine Position des Unterscheidens zwischen Bewerten und Beurteilen nochmal mit einem Beispiel von Jesus unterlegen. Jesus spricht zu seinen Jüngern:

Mt. 18/15 Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. 18/16 Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde. 18/17 Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner.

Dieses Beispiel unterlegt den Unterschied zwischen Bewerten und Beurteilen. Jemand sündigt an dir. Was tust du? Nach dem Grundsatz "Man darf nicht urteilen, bewerten, etwas sagen, usw." wird man seinen Bruder niemals gewinnen. Man muss ihn auf die Situation, auf die Sünde aufmerksam machen. Zwischen ihm und dir. Niemand anderer soll vorerst in diese Angelegenheit eingebunden werden.

Aber was ist notwendig um deinen Bruder zu gewinnen? Die Sünde ist passiert. Du als "Besündigter" (der an dem gesündigt wurde) musst BEWERTEN, ob das Sünde ist oder nicht. Du musst es als Sünde feststellen. Meistens ist das überhaupt kein Problem, denn wenn mir beispielsweise jemand etwas stiehlt, dann muss ich nicht lange nachdenken, ich habe sofort BEWERTET, dass an mir gesündigt wurde. (manchmal ist das auch schwerer festzustellen) Habe ich deshalb meinen Bruder VERURTEILT oder GERICHTET?? Vielleicht ja (DAS wäre falsch!), aber wenn meine Beziehung zu Gott stimmt, dann werde ich versuchen meinen Bruder zu retten! Darum geht's auch in dem Text:

Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Aber es gibt leider auch den anderen Fall. Was macht man dann? Man holt einen Zeugen hinzu und macht den Bruder nochmal in Liebe aufmerksam auf das, was er getan hat. Und wenn er dann auf dich hört, was gibt es Schöneres als:

Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Aber es gibt auch den Fall, dass das nichts bringt :-( . Und DANN ist es immer noch nicht deine Aufgabe, deinen Bruder zu RICHTEN oder VERURTEILEN, aber du hast dein Möglichestes getan um ihn auf die Sünde aufmerksam zu machen. Hoffentlich kommt er mit der Zeit drauf, was er falsch gemacht hat.
Das (diesen ganzen Prozess) konntest du aber nur tun, indem du die Situation BEWERTET hast. Die Sünde wurde als Sünde aufgezeigt.

Und eines muss klar sein, das habe ich auch weiter oben bei meiner Frage schon klar zu machen versucht:

Zitat von: Tricky
Meiner Meinung nach Jesus meinte das absolute Richten und absolute Verurteilen. Ein endgültiges Beurteilen von Personen! - nicht von Handlungen!

Zitat von: Aisha
In Wirklichkeit sind wir alle auf dem Weg , unvollkommen und ein Urteil besonders über den Bruder steht uns nicht zu. Wie könnte in Mensch beurteilen wie die Beziehung zu G'tt eines andern aussieht? Überhaupt nicht.


Mir ist bei der ganzen Diskussion und bei allen meinen Postings immer klar gewesen, es geht beim Bewerten, Beurteilen und Richten IMMER und NUR um

HANDLUNGEN, SITUATIONEN, BEGEBENHEITEN, VERHALTENSWEISEN

niemals um

PERSONEN


Vielleicht ist jetzt klarer, was ich meine, vieleicht war das der Knopf, der jetzt gelöst ist. Verurteilen kann ich nur eine Person, Richten kann ich nur über eine Person. Bewerten tu ich dagegen alles (mit Ausnahme der Person) um mich herum.

viele Grüße

Tricky

Aisha

  • Gast
Antw:Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet
« Antwort #12 am: Di., 08. Juni 2010, 10:42 »
Hallo Tricky,

es wird langsam klar, was du meinst mit "bewerten" und "beurteilen" und wo der vermeintliche Unterschied besteht.

Bei den Aussagen im Mt muss man allerdings die damalige Situation berücksichtigen. Es gab zu der Zeit noch eine Gerichtsbarkeit (Sanhedrin), die nach den Regeln der Torah vollzogen wurde. Daneben gab es noch die Römer.
Interessanterweise hat Jesus diese Gerichtsbarkeit (Sanhedrin) in seiner Lehre über das Nicht -Urteilen nicht angesprochen oder bezweifelt. Das wäre auch komisch gewesen, würde es doch einem Aufruf zur Anarchie gleichkommen.
Heute haben wir ein gutes Rechtssystem in einer Demokratie. Kein Religiöser (es sein denn ein Fanatiker) würde dieses in Frage stellen oder lehren, man dürfe einen Mörder oder Dieb nicht verurteilen.

Deshalb bleibt uns HEUTE nur die Lehre von Jesus  für Christen oder unsere Lehre der Torah in den zwischenmenschlichen Beziehungen anzuwenden.
Wie das nun in der Torah und in der Lehre Jesu gemeint ist, darüber können wir noch weiterreden.

schalom

Aisha

 

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